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28.05. | Frankfurt am Main

20. März 2023 Alltag hier und da

20.03.2023 07:45 Uhr
Position: 33°09.382‘ N 62°07.559’ W
östlich von Bermuda
Kurs: Ost 85° · Geschwindigkeit: 6,5 kn
Wetter: schön sonnig, aber wird bestimmt bald wieder kalt
22,5 Grad, Wind: 4 aus SW
Gesetzte Segel: inner jib, forestay sail, main stay sail, upper top sail, lower top sail
Stimmung: müde und Tobis Examenswoche beginnt (Physik, PoWi, Mathe)
blinde Passagiere: die Taube Manfred-Boris hat uns schon vor Bermuda verlassen / wir haben nach wie vor zwei Grillen, die wir hören, aber noch nie gesehen haben

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Das Leben in Kuba findet auf den Straßen statt

Das Leben in Kuba findet auf den Straßen statt © Jule


Hola liebe Landratten,
ganz am Anfang der Reise haben wir uns neben allen Vorbereitungen natürlich auch gefragt, auf welchen Abschnitt wir uns am meisten freuen. Meine Antwort darauf war klar: Kuba! Eine richtig schöne karibische Insel mit einem ganz anderen politischen System als dem, mit dem ich aufgewachsen bin – wie cool ist das denn? Jetzt waren wir wirklich da, sind gerade vor ein paar Tagen wieder losgefahren und ich kann aus erster Hand berichten, wie ich die Welt von Kuba erlebt habe und was ich als Touristin vom politischen System mitbekommen habe.

Aber zuerst einmal: welches politische System herrscht in Kuba überhaupt? Auf Kuba wird die Regierung gewählt, aber es ist keine Demokratie, sondern ein autoritäres Einparteiensystem. Zudem ist der Staat im Gegensatz zu den allermeisten anderen Staaten, z.B. auch Deutschland, seit der Revolution im Jahr 1959 grundsätzlich (real-)sozialistisch, wobei sozialer Ausgleich, Verteilungsgerechtigkeit („alle bekommen das Gleiche“) und Planwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. In den letzten Jahren wurden darüber hinaus einige wenige Wirtschaftsbereiche kapitalistisch und dürfen Marktwirtschaft betreiben – wie etwa der Tourismussektor.

Soviel zur Theorie – und wie ist das im täglichen Leben?
Als Erstes wurde das Klischee, das ich vor der Reise von Kuba hatte, bestätigt: es gibt dort in der Tat fast ausschließlich Oldtimer-Autos, besonders schicke für die Touristen, aber auch die Einheimischen fahren mit Autos, die ich so nur aus alten Filmen kannte. Und die Häuser sind tatsächlich noch überwiegend – unverändert – aus der Kolonialzeit, haben Balkone, Stuckverzierungen, vier Meter hohe Decken und beängstigende Risse. Bei beidem war ich überrascht, dass es so noch funktioniert, in Deutschland hätten es solche Verhältnisse nie durch den TÜV geschafft … Das führt aber zu einer ganzen Bandbreite von „stadtviertelweise ein phänomenales Bauwerk neben dem nächsten“ über „improvisiert, mit Holzpfeilern abgestützt und bunt bemalt“ bis hin zu „ich traue mich nicht, in mein Haus zu gehen, weil es einsturzgefährdet ist“ (was uns tatsächlich eine Passantin so gesagt hat).

Die Einkaufsmöglichkeiten sind definitiv auch ein Erlebnis: neben den üblichen Touristenständen mit sich wiederholenden Produkten waren wir in einem noch laufenden Haushaltswarenladen mit Originaleinrichtung aus dem 19. Jahrhundert und in einem „ganz normalen“ Supermarkt, dessen Regale jeweils von einer langen Reihe eines einzigen Produkts belegt waren. Dreißig Packungen Windeln, zehn Paletten Tomatensauce, hundert Trinkgläser, immer dieselbe Art. An sich sah der Laden sehr ähnlich aus wie ein deutscher kleiner Supermarkt, nur die Waren … Den Unterschied zwischen staatlicher Zuteilung und offenem Verkauf habe ich selbst in einer Bäckerei miterlebt. Dort gab es eine Schlange mit ca. 30 Menschen mit Tarjetas, staatlichen Essenskarten, die für zwei verschiedene Arten Brot anstanden. Direkt daneben befand sich „la Libre“, die freie Schlange für alle, die mit Geld zahlen, und das gesamte (wenn auch begrenzte) Sortiment der Bäckerei kaufen können. Es standen genau fünf Menschen an.

Hier scheint schon ein weiterer Aspekt Kubas durch: es existieren sozusagen zwei verschiedene Kubas gleichzeitig, eines für Einheimische und eines für Touristen/Devisenbesitzende. In den großen Hotels und Restaurants gibt es für Touristen genau das Gleiche wie in Europa, man „merkt gar nicht“, dass man woanders ist (das weiß ich, weil wir an einem Abend mal in der Rooftop-Bar eines großen Hotels waren). Zudem wird nicht nur diese besonders europäische, sondern auch die besonders kubanische Lebensweise für Touristen „angeboten“: an buchstäblich jeder Ecke kann man Mojitos oder Che-Guevara-Barette kaufen und Salsa-Kurse belegen.

Demgegenüber steht die wirtschaftliche Wirklichkeit der Kubaner*innen. Lebensmittel werden aus Handwägen auf der Straße gekauft, ellenlange Schlangen wie vor der Bäckerei sind alltäglich, die Wirtschaft wird von den staatlichen Zuteilungskarten und der Frage bestimmt, ob man sich ausländische Währungen beschaffen kann. Einen Sonderplatz haben Kunstgalerien – es gibt sowohl solche, die bunte Drucke von Straßen mit Oldtimern und Zigarre rauchenden Kubaner*innen verkaufen, als auch solche, in denen völlig unabhängig von Touristen Kunst geschaffen wird.

Im Gegensatz zu meinem Alltag zu Hause fällt auf, dass das private Leben viel sichtbarer stattfindet. Grundsätzlich können alle durch große und oft nicht verglaste Fenster ins Erdgeschoss der Häuser sehen, Haustüren sind tagsüber normalerweise offen, wenn man nicht gleich draußen sitzt. Es klingt zwar etwas seltsam, aber für mich überraschend war auch, wie präsent ältere Menschen im Stadtbild waren: sie „saßen nicht zuhause herum“, sondern trafen sich miteinander, saßen in Cafés oder tanzten wie zwei, die wir gesehen haben, auf dem Bürgersteig Salsa.

Überhaupt, die Musik: unsere Pädagog*innen baten uns immer wieder, aus Rücksicht auf die Nachbarn etwas leiser zu sein. Diese allerdings feierten allem Anschein nach fröhlich in jeder Wohnung eine andere Salsaparty … was aber nicht gestört, sondern, zumindest mir, sehr gefallen hat!

Was mich wirklich überrascht hat, ist der Patriotismus in Kuba: die großen, plakativen, an Propaganda grenzenden Darstellungen von z.B. Fidel Castro, Che Guevara und Camilio Cienfuegos hängen zwar nicht an jeder Ecke, aber definitiv an vielen. Außerdem gelten die Revolutionäre als Nationalhelden und werden in der Öffentlichkeit (fast) gar nicht hinterfragt. Aus Deutschland kenne ich es überhaupt nicht, dass einzelne Personen so sehr abgebildet und „gefeiert“ werden. Der Umgang mit der Landesgeschichte ist viel kritischer – zumindest in Bezug auf die deutsche Geschichte etwas Positives.

Historische Häuser in verschiedenen Zuständen

Historische Häuser in verschiedenen Zuständen © Jule

Kubanische Volkshelden im normalen Straßenbild

Kubanische Volkshelden im normalen Straßenbild © Annemarie

 

Neben den von der Regierung aufgestellten Plakaten gibt es aber natürlich auch die persönliche Meinung der Einheimischen – und diese geht weit auseinander. Eine Kubanerin, mit der ich gesprochen habe, sagte, Kuba möge für Touristen vielleicht schön sein, aber tatsächlich sei das Leben dort sehr schlecht, sie leide ständig Mangel und war sichtlich verzweifelt. Dagegen berichtete ein Straßenkünstler, wenn man sich Mühe gebe und arbeite, könne man in Kuba gut leben, zudem sei ihm besonders wichtig, wie frei man sich dort fühle. Möglicherweise hängen diese beiden verschiedenen Sichtweisen auch damit zusammen, ob die Personen an Touristen verkaufen können oder nicht. Was es aber auf jeden Fall gab, ist echte Begeisterung für die Revolution: als wir an der Playa Girón übernachtet haben, sang uns ein Ladenbesitzer unter anderem ein leidenschaftliches Lied über Che Guevara vor und erklärte uns ernsthaft motiviert die gesamte Revolution.

Zum Abschluss kann ich sagen: die Bezeichnung „Land der Gegensätze“ trifft wirklich zu! Und auch wer vor dem Besuch überhaupt nichts von der Revolution wusste, merkt, dass Kuba etwas Besonderes ist und sich von anderen Ländern unterscheidet. Ich empfehle auf jeden Fall, einmal dorthin zu reisen, da es sowohl einfach ein schönes Land …als auch politisch sehr interessant ist, wie der Alltag in einem anderen System zwischen täglichem (Über-)Leben, Wunsch nach Veränderung und Idealismus funktioniert.


Alles Liebe von einer Insel, die eine Reise wert ist,
eure Cal

 

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Grüße:

  • Anika: Happy Birthday, Jazzmin!!! Genieß deinen Tag und du schaffst die Arbeiten… yolo. Hab dich lieb<3
  • Charlotte: Liebe Frau Kern, alles Liebe und Gute zum Geburtstag! Ganz liebe Grüße auch an Grace!
  • Ben: Liebe Grüße nach Hause, wir fahren gerade an Miami vorbei ;-) und dürfen nicht hin ;-(
  • Johanna: Ganz Liebe Grüße an Mama, Papa und Bini ;-)