7. Juni 2024 „Als hätte ich nur geträumt“
Klaus Späne, Redakteur der Taunus-Zeitung hatte unsere Reise bzw. die von Clara, die aus seinem Einzugsgebiet stammt, intensiv begleitet. Bereits vier Artikel hatte er veröffentlicht – ein fünfter, der bereits am 7. Juni 2024 erschien, wurde uns erst etwas später zugespielt.
Wieder bedanken wir uns bei Herrn Späne für die Genehmigung, den Artikel an dieser Stelle nachdrucken zu dürfen.
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Clara Werckmeister ist nach ihrer Weltreise wieder im Alltag angekommen – fast zumindest
»Non vitae sed scholae discimus«, übersetzt „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“. Kluger und auch heute noch viel zitierter Satz aus der Feder des römischen Philosophen Seneca. Der hätte sich damals im 1. Jahrhundert nach Christus nicht in seinen kühnsten Träumen ausgemalt, dass dazu eines Tages auch das „Monkey Zertifikat“ gehören würde.
Nicht, dass sich Clara Werckmeister auf ihrer Weltreise mit der ,,Gulden Leeuw“ in einen Affen verwandelt hätte. Wobei ein bisschen schon, zumindest was die Kletterkünste betrifft, die mit dem Zertifikat verbunden sind. Und die haben einen praktischen Nutzen, wovon später noch die Rede sein soll.
Seit ein paar Wochen hat die 16-jährige Schülerin aus Friedrichsdorf die wackligen Schiffsplanken wieder gegen permanent festen Boden eingetauscht. Hinter ihr und ihren 43 Mitschülern liegen sieben Monate auf hoher See, 14.482 nautische Meilen, für Landratten umgerechnet genau 26.820,664 Kilometer, dazu 14 verschiedene Destinationen und zehn Länder. So weit die nüchternen Fakten der 31. High Seas High School, wie sich das segelnde Klassenzimmer der Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog nennt.
Zunächst ein kurzes Update der letzte Reise-Etappe. Diese führte von der holländischen Insel Texel über Helgoland nach Bremerhaven, dem Ursprung und Endpunkt des globalen Törns. Dabei ging es Schlag auf Schlag, wie Clara das Finale beschreibt. Am 29. April Leinen los in Helgoland, wo man erstmals wieder deutschen Boden betreten hatte. Am 30. April musste jeder seine Taschen fertig gepackt haben, am Abend gab’s ein Captain’s Dinner mit dreigängigem Menü. Die Crew inklusive Kapitän bediente, machte den Abwasch und auch wieder klar Schiff.
Keine Geheimnisse auf dem Schiff
Schön sei der Abend gewesen, sagt Clara. Auch das Gespräch mit den Lehrern, bei denen diese Geheimnisse erzählt bekamen, die sie unterwegs nicht mitbekommen hatten. Oder das Aufhängen
von Briefumschlägen, die man an sich gegenseitig adressiert hatte, an eine Leine. Schließlich noch das Zusammensein bis zum frühen Morgen, weil viele offenbar zu bewegt waren, um schlafen zu gehen und lieber zusammen einen Film anschauten und miteinander quatschten. „Das war eine familiäre Stimmung“, beschreibt Clara den wehmütigen Moment.
Um 6 Uhr morgens wurden alle nach wenigen Stunden Schlaf geweckt, Frühstück, die Taschen nach oben schaffen, abfahren. Begleitet von anderen Yachten der Schule ging es auf den Pier zu. Festmachen, eine letzte Zeremonie an Bord mit Reden der Reiseorganisatoren, von Eltern- und Schülervertretern, gemeinsames Shanty-Singen, Übergabe von Zeugnissen und der erwähnten Briefumschläge. Der endgültige Schlusspunkt der Reise.
„Um 13 Uhr durften wir von Bord“, erzählt Clara. Natürlich nicht, ohne vorher alle ein letztes Mal zu umarmen. Später noch einmal eine kurze Rückkehr an Bord, um Eltern und Freunden das Schiff zu zeigen, das über ein halbes Jahr Heimat von 44 Schülern, sechs Pädagogen und einer zehnköpfigen Crew war.
Beendet war der Trip natürlich nur im physischen Sinn. Zu viel ist zwischen der Abfahrt am 3. Oktober 2023 und der Ankunft am 1. Mai 2024 passiert, nichts, was man ablegen könnte wie ein getragenes Kleidungsstück. Anders gesagt: zu viel, um es in wenigen Wochen verarbeiten zu können.
„Es fühlt sich an, als hätte ich nur geträumt“, beschreibt Clara ihre Gemütslage. Die beiden Leben – an Bord und wieder in der Heimat – könne man nicht miteinander verbinden. „Als wäre die Reise nicht zu Ende. Das Gehirn verkraftet das nicht.“ Dennoch der Versuch einer Bilanz.
Klar, ein Abenteuer sei die Zeit gewesen. „Ich war vorher noch nie außerhalb von Europa, auch nie länger als drei Wochen von zu Hause weg.“ Heimweh habe sie dennoch kaum gespürt. „Ich hatte gar keine Zeit, daran zu denken, weil immer irgendetwas zu tun war.“ Unterm Strich habe es ganz entspannt gefunden, sieben Monate nicht zu Hause gewesen zu sein. Sie habe dabei herausgefunden, dass sie Sachen ohne Eltern hinbekomme. „Ich bin selbstständiger geworden“, sagt Clara. Ein Grund war, dass die Schüler sich unterwegs oft selbst organisieren mussten. Etwa während des vierwöchigen Aufenthalts in Costa Rica sich sechs Tage lang, nur begleitet von einem Lehrer, durch den Regenwald nach Panama durchzuschlagen und sich via Handy eine Unterkunft zu besorgen. In die Kategorie persönliche Entwicklung fallen auch mehrere Besonderheiten der Reise. Zum einen der Umgang miteinander auf engem Raum mit 70 Meter Länge und 8,60 Meter Breite. Privatsphäre habe es keine gegeben. Das habe sie aber nicht gestört, außerdem sei es so nie langweilig geworden. Auch Konflikte blieben nicht aus. Aber man habe sich zusammengesetzt und versucht, eine Lösung zu finden. „Man kann sich ja nicht aus dem Weg gehen.“ Man könne auch keine Geheimnisse auf dem Schiff haben – außer natürlich gegenüber den Lehrern.
Punkt Nr. 2 der Schule des Lebens: Die Schüler mussten neben dem Unterricht eigenverantwortlich in allen Bereichen des Schiffs arbeiten – Küchendienst, Deck schrubben, Wache schieben und mehr. Und schließlich die größte Herausforderung: die sogenannten Handover, die Schiffsübergaben an die Schüler. Gleich mehrmals galt es, die „Gulden Leeuw“ sicher durch Wind und Wellen zu navigieren, mit der Crew nur zur Sicherheit im Hintergrund. Das reichte von zwölf Stunden bis zu fünf Tagen auf der Rückfahrt und betraf sämtliche Positionen – bis zum Kapitän. In diese Rolle schlüpfte unter anderem auch Clara während der ersten Atlantiküberquerung.
Höhepunkt? „Dafür war zu viel los“
Was war das Highlight der Reise? Clara überlegt. Den Höhepunkt schlechthin habe es nicht gegeben. „Dafür war zu viel los.“ Zum Beispiel der Sturm, der sie Anfang April auf der Rückreise vor den Azoren überraschte und bei dem sie in aller Eile den Hafen der Stadt Horta verlassen mussten, zwei Stunden lang mit Clara am Ruder. Bei Windstärke neun bis zehn und Wellen von fünf Metern und mehr. Ging aber alles gut.
Und eine seglerische Erfahrung. „Ich weiß so viel mehr als vorher“, bilanziert sie den fachlichen Sprung während der sieben Monate. Navigation, Segel setzen, wie alles zusammenarbeitet. Segeln wie vor 500 Jahren sei das gewesen – nur mit Motor. Kein Wunder also, dass nach dem Abenteuer vor dem Abenteuer ist.
Genauer gesagt, plant Clara bereits den nächsten Törn mit der „Gulden Leeuw“. In den Sommerferien im August will sie auf dem Segler anheuern, und zwar dieses Mal als Crew-Mitglied. Eine Woche lang Touristenfahrten.
Und was das Lernen fürs Leben durch das Monkey-Zertifikat betrifft: Das gehörte zu den Zusatzqualifikationen, die Clara während der Monate erworben hat. Dabei geht es darum, die Schiffsmasten hochzuklettern, um Segel zu packen. Mit angelegtem Geschirr versteht sich. Das alles in
44 Metern Höhe und mit den Füßen auf einem dünnen, wackligen Drahtseil. Aber auch mit besonderen Erlebnissen verbunden. Einmal habe sie den Sonnenuntergang und einmal den Sonnenaufgang erlebt, schwärmt Clara. Am Horizont die Weite des Meers.