Datum: 30.11.2023
Position: 13°21.859‘ N, 45°53.727‘ W
Kurs: 240°
Bisher zurückgelegte Seemeilen: 5210 nm
Wetter: sonnig, sehr warm
Temperatur: 30°C · Wind: SE, 3 bft
Gesetzte Segel: flying jib, outer jib, top gallant sail, upper top sail, lower top sail, course sail, mainstay sail, main sail, mizzen sail
Geschwindigkeit:  6,5 knt
Stimmung an Bord: stolz, die Hälfte des Atlantiks überquert zu haben und glücklich so vielen Naturspektakeln beiwohnen zu dürfen

---

Delfinshow am Bowsprit

Als ich mit dem ersten Sonnenlicht aus meiner dunklen Kammer an Deck komme, begrüßt mich die Wache mit dem für mich als Herzblutbiologen besten Morgenreport auf See: „Wir werden von Delfinen begleitet, Andy! Ein geschulter Blick und die Erfahrung der letzten Tage machen die Klassifizierung einfach – ca. zwei Meter Länge, dunkle Farbe mit Fleckenmuster, spitz zulaufende Schnauze, das müssen Rauzahndelfine sein (Steno bredanensis)! (…). Dieses Mal entscheide ich mich gegen meine große Kamera und klettere mit GoPro und Sicherheitsgurt in das Klüvernetz – Delfine lieben es, mit der Bugwelle zu schwimmen, da die wendigen Wasserakrobaten dort die besten Surfwellen antreffen. Außerdem halten sich dort immer mehr Tiere auf, als man von der Brücke oder den Breezeways aus beobachten kann. Innerhalb weniger Augenblicke klettere ich gesichert in das Klüvernetz und schaue in das klare, tiefblaue Wasser direkt unter mir. Zwei Schüler:innen strahlen mich freudestrahlend an und zeigen aufgeregt nach unten.

Direkt unter uns tummeln sich drei Delfine und lassen sich spielerisch von den Wellen tragen. Mal lassen sie sich zurückfallen, mal beschleunigen sie und drehen die weiß-rosa Bauchseite nach oben. Durch das Netz trennen uns je nach Welle teilweise nur wenige Meter und es fühlt sich so an, als könnte man die eleganten Tiere beinahe berühren. Zwei Trainees der aktuellen Wache, die eigentlich an den Segeln arbeiten sollen (was sie dann auch irgendwann tun), kommen dazu und wohnen dem Spektakel mit großen Augen bei. Von Zeit zu Zeit beteiligen sich weitere Tiere am Wellensurfen vor dem Bug, teilweise gleiten bis zu sechs Tiere in enger Formation geschickt durch das Wasser und vollführen den ein oder anderen Luftsprung.

Als Pädagoge und Biologe fällt es mir schwer, mich zwischen den strahlenden Gesichtern der Schüler:Innen und den Kunststücken der liebenswerten Meeressäuger zu entscheiden. Gut und gerne eine Stunde lang dürfen wir Teil des Naturschauspiels sein. Das Schönste ist, wie ungestört sich die Delfine trotz unserer neugierigen Blicke fühlen und wir die Tiere bei ihrem natürlichen Spieltrieb beobachten können. „Vor einigen Monaten hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir zusammen mitten auf dem Atlantik im Klüvernetz sitzen und Delfine beobachten – das ist so cool“, sagt eine Schülerin überglücklich. Für solche Momente der Begeisterung nimmt man als Pädagoge an dieser Reise teil - und natürlich, weil man selbst von derartigen Tierbegegnungen begeistert wird.

Beflügelt von den neuen Eindrücken begebe ich mich mit einer Tasse heißen Kaffee in die Crewmess und setze mich zufrieden vor den Computer, wo ich die neusten Erkenntnisse in meine Tabelle zur Beobachtung von Meeressäugern eintrage. Es handelt sich bereits um den 15. Eintrag unserer Reise. Datum, Position, Art und Anzahl der Tiere werden protokolliert und Foto- und Videomaterial sortiert. So lässt sich ein Arbeitstag während der Atlantiküberquerung gerne beginnen.

Andy

 

Beitragsbild: Andy im Klüvernetz beim Delfin-Watching © Noah