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19. April 2023 Rückblick: Spendenaktion in Kuba

19.4.2023, 10:08 Uhr
Hafen von Scheveningen / Niederlande
Stimmung: Laut Maxi „29°C“ (obwohl dieses europäische Festland hier von allen als viel zu kalt empfunden wird)

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Wie die Kinder in Schlangen vor dir stehen

Die Spendenaktion HSHS 22/23

Wir schreiben den 28.2.2023 in Cienfuegos auf Kuba. Die Tische der Studentmess (Aufenthaltsraum der Schüler:innen) sind aufgrund der Türme aus Duschgel, Sonnen- und Handcreme, Masken, Stiften, kleinen elektronischen Geräten und vielem mehr, nicht mehr erkennbar. Eine Gruppe von Schüler:innen ist fleißig am Sortieren, packt die Gegenstände in Beutel und organisiert. Mittendrin befindet sich Vici, die sie immer wieder an die Zeit erinnert und Tipps gibt, wo sich noch Dinge verstecken könnten, die die Zahl der -Kleinigkeiten erhöhen/ vergrößern würden.

Welcher Grund verbirgt sich nun hinter dem organisiertem Chaos?
Drei Tage zuvor berichtete Vici beim Mustering, dass Peggy (eine Lehrerin des letzten Jahrgangs HSHS) mit einigen Schüler:innen eine Spendenaktion begleite. Dabei wurden Dinge von HSHS sowie von einzelnen Schüler:innen gespendet. Da die Nachfrage nach solchen Artikeln, wie Shampoo oder Schreibwaren sehr groß war bzw. ist, hatte Vici die Idee, diese Aktion in diesem Jahr zu wiederholen. Außerdem hatten wir mindestens eine Bank der Breezeways voll mit gespendetem Duschgel und Seife sowie Sonnencreme. Angeregt durch eine Box voller Gegenstände, die Peggy für die diesjährige Reise zusammengestellt hat (vielen Dank dafür, Peggy! Die Sachen kamen sehr gut an), sammeln also Freddy, Johanna, Nele, Kara, Jule, Nika, Eva, Vici und Annemarie am Dienstagvormittag verschiedene Gegenstände, welche die Kubaner:innen benötigen. Sie sortieren sie in Beutel und fahren mit dem Schlauchboot an Land.

Ein Tisch voll mit gespendeten Dingen

Die Tische sind vor lauter Gegenständen für die Spende nicht mehr erkennbar © Annemarie

Die Spenden werden in unser Schlauchboot geladen

Die Spenden werden in unser Schlauchboot geladen © Annemarie

Den ersten Beutel, welcher mit Seife, Duschgel und Stiften gefüllt ist, schenken sie der Marina direkt an der Pier. Eine Frau, die sie bereits kennenlernen durften, nimmt diesen sehr dankbar und freudig an.  

Unsere Gruppe nach der Spendenübergabe an die Marina

Wir konnten der Marina an unserer Pier mit der Spende eine große Freude bereiten © Vici

 
Schon da merke ich, dass es irgendwie unglaubwürdig ist, dass eine fein angezogene Frau mit einem guten Job sich über Dinge sehr freut, die wir in Europa als selbstverständlich ansehen.         

Danach zieht die Gruppe weiter zu einer Grundschule. Auf dem Weg dorthin begegnen sie zwei Passant:innen, denen sie auch Haushaltsmittel anbieten. Dies löst jedoch einen Trubel aus. Auf einmal kommen mehrere Menschen auf sie zugestürmt, die ebenfalls Interesse zeigen. Nun stehen sie da. Umzingelt von ungefähr 15 Personen, die alle etwas erobern möchten und teilweise schon Neid verspüren, da andere vielleicht die eine oder andere Sache mehr bekommen. Für die Jugendlichen ist es sehr schwer, dieser Situation zu entkommen, da immer mehr Passant:innen dazustoßen. Sie möchten aber keine Leute einfach so stehen lassen, denn jede und jeder Einzelne benötigt „alltägliche“ Gegenstände, die es hier kaum gibt.

Als ihnen Bescheid gegeben wird, dass die Gruppe weiterziehen muss, fühle ich mich schlecht, einigen Menschen sagen zu müssen, dass wir keine Zeit haben oder anderen noch schnell eine Tube Sonnencreme in die Hand drücken, ohne ins Gespräch zu kommen. Ich habe jedoch nicht länger Zeit, darüber nachzudenken, da mich schon die nächste Reizüberflutung einholt, als die HSHS-Gruppe in der Grundschule steht. Kurz nachdem die Jugendlichen sich dort ankündigen, sorgen die Lehrer:innen der Grundschule für Organisation und stellen die Kinder in einer Reihe auf. Jede:r darf sich eine Sache bei ihnen abholen. Die Klassen fangen an zu jubeln. Sie freuen sich über jede Kleinigkeit, die sie bekommen, seien es Stifte, Duschgel oder eine Sonnenbrille.

Spendenaktion in einer Grundschule auf Kuba

Die Schulkinder stehen in einer Schlange, um die Kleinigkeiten abzuholen © Annemarie

Annemarie teilt die Spenden aus

Annemarie teilt die Spenden aus © Freddy

Titelbild: Gruppenfoto mit den Schulkindern der Grundschule und Annemarie, Jule, Johanna, Eva und Freddy © Nika

Mir laufen während der Aktion mehrere Schauer über den Rücken. Meine Arme und Beine sind mit Gänsehaut bedeckt und mir kullern Tränen über die Wange. In meinem Kopf kommen viele Fragen auf: Wie kann das sein, dass die Kinder Uniformen tragen und einen wohlhabenden Eindruck machen und dennoch gierig nach Hausmitteln, etc. sind? Wie kann das sein, dass sie sich über solche Kleinigkeiten freuen und uns deshalb mehr als dankbar sind? Natürlich stellt sich in mir auch die Frage, was ich bzw. wir falsch machen, dass diese Umstände hier existieren. Wir können aber nichts beeinflussen. Mir fällt es sehr schwer, den Schüler:innen und Lehrer:innen dabei zuzusehen, wie sie mit einem Strahlen im Gesicht die Dinge entgegennehmen und manche Kinder sich erneut anstellen, um zu versuchen, noch eine Sache zu bekommen. Da wird mir bewusst, an was es den Menschen auf Kuba fehlt und wie nötig sie diese Gegenstände haben. Aber warum ist das so?

Kuba ist ein sozialistischer Staat, was bedeutet, dass er allen Einwohnern das Gleiche ermöglichen möchte. Dies funktioniert aber nicht so, wie er es sich vorstellt, da es nicht genügend Produkte gibt, sodass jede und jeder genau das Gleiche bekommt. Das liegt an dem Handelsembargo, wegen dem Kuba nichts mehr von der USA importiert bekommt. Die wenigen Dinge, die Kuba bekommt, stammen aus zum Beispiel China. Außerdem entstehen durch den Tourismus auch Differenzen. Es kann also nicht aufgehen, dass alle das Gleiche besitzen. Die Kubaner:innen stellen sich bei neuen Lieferungen in Schlangen vor den Einkaufsladen und selbst da gibt es in einem mehrere Regale mit dem gleichen Produkt, sodass ein Laden teilweise aus nur fünf verschiedenen Produkten besteht oder die Regale sind einfach leer. Die Bewohner:innen freuen sich über jedes einzelne Stück.
 
Nachdem die Gruppe die Grundschule verlässt, um zu der nächsten Institution zu gehen, fallen mir keine Worte mehr ein. Den ganzen Weg von dieser Schule bis zu der weiterführenden Schule schweige ich. Ich kann nicht reden, weil mir einfach die Worte fehlen und ich das Gefühl habe, ganz viel verarbeiten zu müssen, was ich da gerade erlebt habe. Ich denke viel nach, komme aber zu keinem Fazit. Das einzige, wo ich mir sicher bin, ist, dass ich auf diese Art und Weise den Menschen dort weiterhelfen möchte. Mich hat es sehr glücklich gemacht, dass ich ihnen mit für uns selbstverständlichen und leicht zu erwerbenden Sachen helfen kann.

Nach der weiterführenden Schule begeben sie sich noch auf den Weg zu einer Universität und einem Krankenhaus, wo sie die befüllten Beutel schnell abstellen und zurück zum Schiff gehen, da sie bereits unter Zeitdruck stehen.
An der Gulden Leeuw angekommen, brauche ich erst einmal zehn Minuten, in denen ich das gerade Geschehne verarbeiten und reflektieren kann. Danach holt mich der normale Bordalltag wieder ein.
 
Gegen diese Umstände der Kubaner:innen können wir nichts tun. Wie wir aber helfen können, ist, indem wir, wie wir es jetzt machten, in Institutionen gehen und ihnen oder auch Privatpersonen Haushaltsmittel wie Seife, Duschgel, Cremes oder Deo, Stifte, elektronische Geräte und vor allem Medikamente schenken. Mit einer Kleinigkeit können wir vielen Menschen eine große Freude machen.

Ich gehe einerseits mit einem guten Gefühl aus dieser Aktion, da wir Mitmenschen helfen konnten, andererseits trifft es mich sehr, dass Menschen solche Notsituationen erleben müssen und ich mich in Deutschland darüber beschwert habe, wenn mal nicht die perfekte Shampooflasche oder mein Lieblingsstift im Regal im Einkaufsladen vorhanden ist.

Ich habe heute wieder neue Dinge schätzen lernen dürfen, wie so vieles auf dieser Reise, die mein Leben und meine Sicht auf die Welt noch lange prägen werden. Denn diese Bilder, wie die Kinder vor mir standen, verliere ich erst einmal nicht mehr so schnell aus meinem Kopf.

Annemarie

P.S. Dies muss ich alles verarbeiten, weshalb ich mich von der Situation ein wenig distanzieren muss. Das ist der Grund, warum ich in meinem Text über die Aktion aus der Vogelperspektive geschrieben habe, um meine Gefühle besser zu verarbeiten und darzustellen, wie ich es im obigen Artikel beschrieben habe. Ich danke denjenigen, die sich für diesen etwas schwer zu lesenden Blogeintrag Zeit genommen haben.
 
P.S. Vielen Dank noch einmal an Peggy für die Spende!

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Grüße:

  • Annemarie: Ich grüße meine Familie und Freunde!
  • Freddy: Ich grüße den Wal, welchen wir eben gesichtet haben!